Rainard Dörpinghaus war 24 Jahre Mönch in einer Benediktinerabtei in Bayern, als er das Kloster verließ und sich selbständig machte. Heute begleitet er als Coach Menschen in Veränderungsprozessen. Warum und wie es dazu kam, erzählt er uns in diesem Interview:
Herr Dörpinghaus, Sie sind ein Mann mit sehr vielen Interessen und Talenten. Können Sie sich den Lesern kurz vorstellen und beschreiben, was sie tun.
Mein Name ist Rainard Dörpinghaus, ich bin 57 Jahre alt und in meinem Leben habe ich eine Menge Dinge studiert und gelernt: Kirchenmusik in Detmold und Bielefeld; Theologie, Philosophie und Psychologie in Paderborn, Bielefeld und Wien; christliche und allgemeine Orientalistik in Rom (Lizenziat); systemisches und interaktives Coaching und Kommunikationsberatung am ARTOP-Institut der Humboldt Universität Berlin.
24 Jahre war ich Mönch in einer Benediktinerabtei in Bayern und habe dort als Jugend-, Schul- und Studentenseelsorger gearbeitet, diverse Selbsthilfe-Initiativen, Arbeitskreise und soziale Vereine betreut, war als Referent und Dozent in der Erwachsenenbildung tätig und stand diversen Kultureinrichtungen (Salzburger Festspiele, Dortmunder Konzerthaus, Weimarer Kunstfest, Europäischen Wochen Passau und so weiter) theologisch und pädagogisch als Berater zur Seite.
Nach meinem Austritt aus dem Kloster 2008 und nach meiner Zusatzausbildung an der Humboldt Universität Berlin habe ich mich dann in Berlin mit einem „Coaching-Studio“ selbständig gemacht und begleite seitdem Menschen bei Veränderungsprozessen in unterschiedlichen Lebenssituationen und -krisen (Trauer, Beziehungbruch, Mediation und so weiter). Im wirtschaftlichen Bereich beauftragen mich vorwiegend kleine und mittelständische Betriebe für zum Beispiel Führungs-, Strukturierungs- und Teamcoachings, während ich allgemein Berufstätigen in beruflichen Krisensituationen (Mobbing, Burn-Out, und so weiter), in Changeprozessen und im Outplacement beistehe. Nicht zuletzt sind Künstler auch eine große Zielgruppe bei mir, denen ich im Bereich Talent-Research, Live-Art-Balancing und Karriereplanung zu helfen versuche.
Sie waren 25 Jahre als Pater Maurus tätig, ehe Sie sich in der Lebensmitte selbständig gemacht haben. Wie kam es zu dem Umbruch und was hat Sie bewogen, den Schritt in die Selbständigkeit zu gehen?
Was mich veranlasst hat diesen Lebensumbruch zu wagen, waren eigentlich verschiedene Gründe. Zum einen war es das Gefühl, dass ich in meiner damaligen Lebensposition nicht mehr richtig viel zu geben hatte. Irgendwie war alles zu sehr zur Routine geworden. Das klösterliche Leben hat einen sehr genauen Rhythmus, aus dem ich immer mehr ausbrach. Für viele mag das sehr hilfreich sein so ein strukturiertes Leben zu führen, aber ich fühlte mich mit der Zeit immer mehr eingeengt. Zunehmend kam ich mir vor, als sei ich in der 1200-jährigen Abtei doch eher ein Museumswärter als Mönch, ja vielleicht auch ein lebendiges Ausstellungsstück, aber richtig christlich angefordert fühlte ich mich dort nicht mehr. Dennoch will und muss ich auch sagen, dass ich dem Leben in der Benediktinerabtei sehr viel an Erfahrung und Wissen verdanke, was mir nun in meinem neuen Beruf sehr zugute kommt. Es wurde und ist mir ein Anliegen, dass ich das Menschliche und auch das Spirituelle aus dem monastischen Leben mehr in die Welt trage und den Menschen als hilfreich zugänglich mache. Und in Berlin sehe ich da einen sehr idealen Ort, wo genau das fehlt. Berlin ist ein politischer, sozialer, kultureller und allgemein gesellschaftlicher Brennpunkt und auch die Mannigfaltigkeit der Religionen und Ideologien macht das Leben hier sehr spannend. Dennoch verstehe ich mich nicht im klassischen Sinn als Missionar. Ich bemühe mich stets um eine tolerante und respektvolle Beziehung zu meinen Klienten und versuche sie in keinster Weise zu „konvertieren“. Meine Erfahrungen sind reines Angebot, was ja auch dem Souveränitätsprinzip der Klienten im Coaching entspricht. Ob einer gläubig in irgendeiner Religion ist oder nicht, das spielt für mich keine Rolle.
Äußerlich kam noch hinzu, dass über einen sehr langen Zeitraum hinweg meine Eltern schwer pflegebedürftig waren. Auch wenn mein ältester Bruder den Hauptanteil an der Pflege übernommen hat, so war ich doch auch sehr oft und häufig daran beteiligt. Das war richtiger Stress zusätzlich zu meinen vielen Aufgaben in der Abtei und schließlich bin ich mit schweren Depressionen, quasi einem Burn-Out, zusammengebrochen. Während eines längeren Klinikaufenthalts reifte in mir dann der Entschluss, an mir und meiner Situation grundsätzlich etwas zu ändern. Und tatsächlich: Die Entscheidung zur Veränderung hat mich aus der Depression herausgeholt. In meinen Coachings treffe ich viele Menschen in ähnlichen Situationen und ich kann daher sehr gut mitfühlen und unterstützen. Mir ist es an dieser Stelle aber wichtig zu erwähnen, dass ich es strikt ablehne therapeutisch zu wirken. Das ist nicht meine Aufgabe. Dafür sind Psychiater und Psychotherapeuten zuständig.
Welche Hürden mussten Sie überwinden?
Da waren eine Menge Hindernisse und Hürden, die es nun zu überwinden galt. Die größte und gewichtigste Hürde aber war – ich selber. 24 Jahre in einer Abtei, das war eine sehr arbeitsreiche Zeit, aber auch eine Zeit, in der man sehr geborgen war: Für das Leben war gesorgt, denn man brauchte keine Angst zu haben, was Nahrung und Kleidung, was Versicherungen und gewisse grundlegende Lebensqualität anging. Im Gegenteil: Mir stand eine Bibliothek mit ca. 100.000 Büchern zur Verfügung, mehrere Autos, tolle Musikinstrumente (eine herrliche Orgel, sowie verschiedenen Klaviere, Flügel und Cembali), ich hatte immer eine Menge Leute um mich herum, denn als der „Herr Pater“ galt man in dem Teil Deutschlands noch als etwas Besonderes. Man musste sicher als Mönch auf vieles verzichten, aber man hatte auch eine Menge Lebensvorteile. Und das hat einen auch geprägt. Wer lange in einer versorgten Lebensbahn ausgehalten hat, der wird davon geformt, ja in gewisser Weise auch verwöhnt und bequem und dabei spielt es keine Rolle, ob man Langzeitarbeitsloser ist oder einen Bombenjob mit viel Verdienst, Macht und Anspruch hat. Es ging mir so wie dem Mann in einem Zugabteil, der stöhnt und jammert und als man ihn fragt, warum er denn so jammere, erwidert: „ Ich hätte schon vor fünf Stationen aussteigen müssen, aber hier drinnen ist es so schön warm und bequem.“ Jede Veränderung braucht einen Willen und einen Ruck. Mir hat es damals in der Zeit meiner Entscheidungsfindung sehr geholfen, dass ein Freund zu mir gesagt hat: „Du hast zwei Möglichkeiten: Du bleibst im Kloster und weißt eigentlich nach zwanzig Jahren, dass das nicht das Richtige war und deine Entscheidung falsch war. Dann bist du unglücklich. Oder du gehst jetzt nach Berlin, wo es zwar ebenso schief gehen kann, aber ja auch gut und du wirst glücklich. Genau das ahnst du irgendwie, denn sonst hättest du nicht die Sehnsucht dorthin zu gehen. Wo hast du also mehr gute Möglichkeiten?“ Ich habe daraufhin den Ruck zur Veränderung gefunden und bin nach Berlin gegangen.
Hier in Berlin musste ich das tägliche Leben in der Öffentlichkeit erst einmal lernen. Neben der Ausbildung zum Coach und Kommunikationsberater waren das vor allem die Fragen zur Selbstständigkeit. Für einen Theologen gibt es nun wirklich nicht viel säkulare Berufsmöglichkeiten und solche praktischen Fragen zu alltäglichen Angelegenheiten wie Umsatzsteuer, Steuern überhaupt, Versicherungen, Mietverträge, und so weiter waren für mich immer neue Herausforderungen. Ich habe mich auch beruflich an verschiedenen Stellen beworben, aber irgendwie hatte ich nicht mehr das Bedürfnis, in irgendeiner Weise anstellungsmäßig abhängig zu sein. Mit vielen Bedenken habe ich mich dann für die Selbständigkeit entschieden. Aber wie sagt ein Sprichwort: „Schenkt der Herr ein Häschen, dann gibt er auch ein Gräschen.“ Auf meinem Weg in die Selbständigkeit fand ich immer eine Menge Menschen, die mir halfen, die Rat wussten und es gab auch jede Menge Möglichkeiten, die mich weiter brachten. Und vor allem – ich fand in mir nach und nach eine Menge eigener Ressourcen, Kräfte und Begabungen, die mich sehr unterstützten. Sie waren mir nur nie richtig bewusst. Heute ist es daher ein wichtiger Ansatz in meinem Coaching, den Menschen in seinem Anliegen auf seine eigenen positiven Ressourcen aufmerksam zu machen, damit sie diese zielgerichteter und sinnvoll einsetzen, ihre Kreativität anregen und damit eigene Lösungen finden können. Die sind dann immer die besten!
Welche Talente und Begabungen konnten Sie einbringen?
Das ist genau die Frage nach meinen Ressourcen. Ich glaube, dass zu meinen am besten entwickelten Talenten die Fähigkeit gehört mich in einen Menschen ziemlich gut hineinversetzen zu können, mit ihm zu fühlen; was ja auch das griechische Wort „sympathein“ (mitfühlen, mitleiden) ausdrückt. Ich versuche mir die Menschen „sympathisch“ zu machen. In meiner langen Laufbahn als Seelsorger bin ich gefühlsmäßig mit sehr vielen Menschen mitgegangen und das vielfach auch bis in extrem emotionale und existenzielle Situationen. Mit der Zeit konnte ich daraus zwei wichtige Dinge entwickeln: Zum einen eine doch sehr sichere Menschenkenntnis, die mir hilft, die Dinge zu sortieren ohne vorab zu urteilen, zum anderen die Fähigkeit auch, stets eine sichere Distanz zu bewahren, damit ich positiv und frei handeln kann. Der Beziehungsbruch, der Trauerfall, die Krankheit, die berufliche Misere und so weiter – mit all dem kann ich mitgehen, aber auch immer mit der klaren Prämisse: So nahe mir das Schicksal des anderen geht – es ist nicht mein Problem und darf es auch nicht sein. Das mag sehr kaltschnäuzig klingen, aber es ist unbedingt notwendig für den Klienten. Überließe ich mich den Gefühlen meines Gegenüber, dann wäre ich eben kein Gegenüber, sondern genau in der gleichen Situation wie er, das heißt ich hätte wie er keine gedankliche Freiheit mehr, säße in dem gleichen Loch und könnte ihm nicht heraushelfen. Ich wäre nicht mehr kritikfähig, also unterscheidungsfähig. Nur aus der Distanz heraus kann ich einem Menschen einen Spiegel vorhalten und ihm vielleicht zu einer anderen Perspektive sein Problem betreffend verhelfen. Eine neue Perspektive zu sich selbst verhilft sehr leicht auch zu neuen eigenen Lösungsansätzen und darum geht es ja: Eigene Lösungen zu finden.
Eine weitere Begabung, die mir sehr oft nachgesagt wird und die ich auch sehr pflege, ist die anschauliche plausible Art etwas zu erklären und darzustellen. Ich habe da ein sehr großes Vorbild, nämlich in Jesus. Wer die Evangelien liest, der wird mit der Zeit von der klaren und treffenden Sprache Jesu fasziniert. Praktisch hat er eigentlich nur in Bildern und Gleichnissen gesprochen. Auch das prägt. Ein Bild, eine Parabel ist immer verständlicher und nachhaltiger als eine theoretische Erklärung. Ein Bild ist ein Eindruck, es berührt den Menschen auf eine gewisse Art und Weise auch sinnlich und das ist es, was den Menschen heute fehlt und wonach sie sich sehnen: Berührt zu werden. Ich glaube, dass es ein großer Fehler der Kirchen von heute ist, die Leute immer nur vollzutexten und sie nicht mehr zu berühren. Ein Thema, worüber ich gerade sehr stark nachdenke und auch einmal etwas veröffentlichen möchte: Gott liebt alle Menschen – aber er kuschelt nicht.
Was waren die größten Zweifel zu Beginn Ihrer Selbständigkeit?
Natürlich war ich dem gesellschaftlichen Denken und den vielen Meinungen nun auch im vollen Maße ausgesetzt: Du bist zu alt, du hast keine Ahnung, du hast keine Erfahrung, du hast eine riesige Konkurrenz, du hast keine genügende finanzielle Grundlage und so weiter. Das erweckt auch in einem selbst die Zweifel: Schaffst du das alles? Wo und wie wird es enden? Da hing zum Beispiel das große Damoklesschwert der Altersversorgung über einem. Wer aus einem Kloster oder einer Ordensgemeinschaft austritt, der hat kaum eine Altersversorgung, denn da die Ordensgemeinschaft ja selber für ihre Alten und Kranken sorgt, brauchen sie in einem Abkommen mit dem Staat auch keine Renteneinzahlungen für ihre Angehörigen vorzunehmen. Das könnten sich die meisten Orden auch gar nicht leisten. Wenn aber einer die Gemeinschaft verlässt, dann ist der Orden verpflichtet, alle Rentenbeiträge für die Zeit in der Gemeinschaft nachzuzahlen, allerdings nur im geringsten Satz. Und was da dann später herauskommt, das ist zum Leben zu wenig und zum Sterben gar nicht mal so viel. Da kommen Zweifel auf. Und diese Zweifel in ihrer Masse können die Zukunft ganz schön düster aussehen lassen.
Was hat Ihnen Mut gemacht diesen Weg zu gehen? Was hat sie getragen?
Getragen hat mich vor allem ein Gedanke, den alle Religionen, die eine wirklich lebbare spirituelle Wirklichkeit in sich haben (und ich meine da weniger die fromme Dimension einer Religion!) wie das Christentum und der Buddhismus, nämlich das unbedingte Bewusstsein zu erwecken im Hier und Jetzt zu leben. Wir können eine subjektive Vision von der Zukunft haben, wir können Erinnerungen an die Vergangenheit haben, aber beeinflussen können wir beides nicht. Wir können vielleicht Weichen für die Zukunft stellen und im Nachhinein aus Fehlern in der Vergangenheit lernen, aber beide zeitlichen Dimensionen bleiben im Grunde für uns fatal. Mit der Zeit habe ich gelernt und begriffen, dass ich jetzt und hier lebe und nicht mehr. Ich bin auch keiner Wirklichkeit gegenüber gesetzt und schaue mir die Welt an wie aus einem Zimmer mit Fenster sondern ich weiß, dass ich ein wesentlicher Teil dieser Welt bin, in dieser Welt lebe, denke, fühle und handle. Je mehr ich mein jetziges Leben von der Angst um eine Zukunft und von der Trauer um eine misslungene Vergangenheit bestimmen lasse, umso komplizierter und unfreier wird es. Ich gehe nicht blauäugig in die Zukunft, aber ich lasse mich von ihr nicht bevormunden. Das Bewusstsein meines Hier und Jetzt hat mich freier in meinen Entscheidungen gemacht und ich wurde da immer souveräner.
Und auch eine weitere Erfahrung kam mir zugute: Jede getroffene Entscheidung setzt neue Kräfte und Kreativität frei. Wie viel Zeit, Kraft und Freiheit kostet eine Entscheidungsfindung! Entscheidungen müssen zwei Bedingungen erfüllen: Sie müssen bedacht und überlegt werden (das kostet Zeit und Kraft) und sie müssen aber auch gefällt werden (das setzt anschließend die Kraft und die Zeit wieder frei).
Und ein Drittes hat mir geholfen: Ich bin ein gläubiger Mensch. Das Wort „Religion“, das ja von dem lateinischen Wort „religere“ (= sich rückbinden, sichern und anbinden) kommt, hat mir sehr oft Halt gegeben. In vielen für mich aussichtslosen Situationen habe ich dann gesagt: „Lieber Gott, ich komme hier gerade wieder einmal so gar nicht weiter. Übernimm du!“ Und irgendwie ging es dann auch weiter. Es gibt zwei Möglichkeiten sich an Gott zurück zu binden. Ich stelle mir Gott als einen großen Berg vor, der in sich ruht und unverrückbar ist und ich als Bergsteiger (Gottsuchender) sichere mich mit Seilen und Winden an diesen Berg. Zwei Möglichkeiten habe ich da: Einmal kann ich mich mit dem Gesicht zu Gott (Berg) binden, dann sehe ich nur ihn und nichts anderes (das ist die Position der Fanatiker). Das ist nicht gerade günstig, denn meine Sicht und Bewegungsfreiheit ist dadurch enorm eingeschränkt. Oder ich binde mich mit dem Rücken zu Gott, schaue in die gleiche Richtung wie er, nämlich in die Welt, weiß mich aber getragen und falle nicht. Ich kann die Welt sehen, kann mit ihr kommunizieren und fühle mich doch sicher und gehalten (das ist die Position der Heiligen). Vor allem habe ich die Hände frei und kann anderen helfen und sie sichern. Ich bevorzuge die zweite Position.
Und noch ein vierter „Mutmacher“ fällt mir ein: Ich gelte allgemein als ein sehr humorvoller Mensch und ich liebe es auch, Menschen zum Lachen zu bringen und selber zu lachen nach dem Motto „Spaß muss sein, sonst geht keiner mit bei der Beerdigung.“ Lachen, vor allem über sich selbst, ist das allerbeste Mittel gegen die Angst. Sigmund Freud, Viktor Frankl und eine Menge anderer großer psychologisch befasster Autoren haben sich ausführlich über das Lachen und den Humor ausgelassen. Er nimmt vielen wichtig erscheinenden Dingen ihre aufgeblasene und unwirkliche Größe und gerade deswegen ist der Humor bei den Diktatoren und totalitären Machthabern und Ideologen äußerst unbeliebt und wird strengstens verfolgt.
Was hat sie überrascht auf Ihrem Weg? Was würden Sie heute anders machen?
Was mich wirklich überrascht hat auf meinem Weg war die Tatsache, dass die meisten Vorurteile und Befürchtungen, die ich von Vornherein gehabt habe gar nicht stimmten oder eingetroffen sind. Meine Veränderung war sicherlich ein sehr großes Stück Arbeit und es lief auch nicht immer alles glatt. Was mich zum Beispiel sehr überrascht hat war die Tatsache, dass mich keiner wegen meines Klosteraustritts schräg oder böse angeschaut hat. Im Gegenteil: Viele hatten für meine Gründe (die meist ja auch im Privaten lagen) gutes Verständnis und auch zu meinem ehemaligen Kloster habe ich kein schlechtes, sondern ein sogar freundschaftliches Verhältnis. Ich war auch überrascht wie viel Sinn und Erfüllung ich in meinem Lebensvollzug und in meinem neuen Beruf fand. Das war für mich immer wieder motivierend und anregend. Überrascht war ich auch wie viele meiner Freunde mir die Treue gehalten haben, obwohl ich nun wirklich in eine deutliche auch örtliche Entfernung gerutscht bin. Und ich bin gespannt, was das Leben noch für Überraschungen für mich bereit hält. Da kommt sicher noch eine Menge.
Die Frage, was ich heute anders machen würde, das ist eine rein theoretische. Wie ich schon geschrieben habe: An der Vergangenheit lässt sich ja nichts mehr verändern. Viele Menschen fragen mich immer wieder, was sie falsch gemacht haben, gerade wenn sie meinen, dass sie zum Beispiel am Tod eines nahestehenden Menschen schuld wären. Meine Antwort darauf ist dann, dass sie nichts falsch, sondern höchstwahrscheinlich alles gemacht haben, was sie meinten tun zu können. Und mehr geht nun bei aller Liebe einmal nicht.
Viel interessanter ist die Frage, was ich noch machen werde oder beabsichtige noch zu tun. Weiterbildung zum Beispiel ist immer ein wichtiges Thema für mich. Außerdem bin ich auch stets auf der Suche nach Gleichgesinnten und Partnern in meinem Bestreben. Ich möchte auch noch mehr persönliche menschliche Erfahrungen aller Art machen und Menschen kann man gar nicht genug kennen lernen. Pläne und Wünsche habe ich genügend. Ob sie alle sich erfüllen und eintreffen, das kann ich nicht sagen. Mein Leben mache ich aber von dieser Frage nicht abhängig.
Wie sind Sie mit Existenzängsten umgegangen (oder gab es die nicht für Sie)?
Existenzängste kommen unvermeidlich, gerade in meiner Situation und aus meiner Geschichte heraus. Was wird mit der Altersversorgung? Was geschieht bei Arbeitsunfähigkeit? Habe ich noch genügend Kräfte? Viele weitere Fragen kommen immer wieder hoch und führen auch einmal zu schlaflosen Nächten. Und die Öffentlichkeit mit ihren Medien und sozialen Netzwerken schüren diese Ängste in vielen Fällen eher als ihnen abzuhelfen. Alles wird in Frage gestellt, man trägt eine Menge neu gepflanzter Ängste mit sich und versucht diese irgendwie in den Griff zu bekommen. Ich bin durchaus der Überzeugung, dass die überaus hohe Rate der depressiven Erkrankungen in unserer Gesellschaft gerade auch durch diese Medien verursacht wird. Frustration ist der Anfang einer Depression und Frustration entsteht nun einmal bei der Masse negativer Nachrichten und Meinungen.
Was mir aber dabei dann irgendwie auch wieder geholfen hat ist das, was ich oben schon erwähnt habe: Die Entdeckung und Bewusstseinsmachung meiner positiven Ressourcen, die ja in jedem Menschen stecken sowie die Erkenntnis meiner Wirklichkeit im Hier und Jetzt. Immer mehr versuche ich von dem auszugehen, was ich jetzt habe und bin. Ich versuche nicht nur große Ziele für mich zu definieren, sondern eher Richtungen, an denen ich mich orientieren kann und kleinere Ziele, die ich auch leichter erreichen kann und die mir dann gewisse Erfolgserlebnisse vermitteln. Das motiviert und dabei relativieren sich viele Ängste. Angst ist ja auch nichts Schlechtes, denn sie schützt uns ja auch vor Gefahren und lässt uns vorsichtig sein. Aber zu große Angst blockiert uns und kann unser Leben auch schädigen. Wenn ich aber weiß, welche meiner Stärken und Talente und Eigenschaften mir bis hierher in unterschiedlichster Weise geholfen haben, dann kann ich die auch bewusster und zielsicherer einsetzen. Die Psychologie und auch die Spiritualität bieten sehr viele gute Wege diese persönlichen Stärken und Vorzüge zu finden und anzuwenden.
Was waren Ihre Rückschläge (wenn es sie gab) und was Ihre Erfolge?
Rückschläge gibt es immer wieder. Einmal hat man ein gutes Ergebnis mit einem Klienten erarbeitet, dann aber macht er einen Rückzieher und lässt alles wieder so wie es war (Angst vor Veränderungen), ein anderes Mal wird man durch einen Misserfolg selbst infrage gestellt. Oder man steigert sich in ein gutes und interessantes Projekt hinein und es erweist sich dann als erfolglos und unrentabel. Rückschläge sind immer möglich und treffen immer unvorhergesehen ein. Bei mir war es zum Beispiel ein unvorhergesehener gesundheitlicher Rückschlag, der mich sehr lange beschäftigt hat und in dem ich beruflich nichts tun konnte. Da kommen dann wirkliche Existenzängste auf. Ein anderer Rückschlag war eine Beraterfirma, für die ich eigentlich sehr lange gearbeitet habe und bei der es sich dann herausstellte, dass sie mich gewaltig über den Tisch gezogen und ausgenutzt hatte.
Aber davon habe ich mich nicht aufhalten lassen. Die Erfolge haben das wieder wett gemacht. Der größte Erfolg, eigentlich sind es viele kleine, ist, dass ich doch viele Menschen stärken und mit ihnen zusammen gehbare Wege zu Lösungen für ihre Fragen und Probleme finden konnte. Mir ist es gelungen durch Führungs- und Teamcoachings in einer sehr bestimmten Weise, die sich besonders auf Kommunikationswege und menschliche Befindlichkeiten und Beziehungen konzentriert, mittelständische Firmen und Betriebe neu aufzustellen. Auch habe ich Wege gefunden ein anderes besseres Klima im Umgang der Mitarbeiter untereinander zu erzeugen, indem ich mit ihnen andere sicherere Möglichkeiten der menschlichen Beziehung und Wahrnehmung erarbeitet habe. All diese Erfolge und auch viele andere kleinere haben mein Selbstbewusstsein nachhaltig gestärkt und lassen mich Misserfolge oder Rückschläge leichter ertragen und beantworten.
Sie bieten systemisches und interaktives Coaching an – was kann ich mir darunter vorstellen?
Wir können nicht anders und es ist eine unvermeidliche Tatsache: Wir alle leben in Systemen. Die bestehen aus vielen Komponenten und Beziehungen, die uns helfen, damit wir überhaupt leben können und die uns auch prägen. Aber jeder kann nach dem österreichischen Psychologen Paul Wazlawik nur in einem System leben, nie in zwei oder mehreren gleichzeitig. Wer ein neues System will, der muss das alte erst zerstören. Veränderung heißt ja: Das Alte verlassen, um zu Neuem zu gelangen. Aber das muss nicht gleich totalitär gelten. Die Veränderung eines Systemfaktors reicht schon aus, damit das alte nicht mehr da und ein neues entstanden ist. Veränderung heißt nicht, dass ich mich stets neu erfinden und schöpfen muss. Denn ich habe auch im alten System eine Menge positiver Errungenschaften (Erfahrungen, Stärken, Skills und so weiter), die ich nicht aufgeben muss, ja auch nicht aufgeben darf. Als Coach versuche ich dem wirklich Achtung zu schenken, dass wir mit diesen gefundenen und gesichteten positiven Kompetenzen das alte System des Klienten derart verändern, dass es ein neues wird. Das ist das Systemische. Ich versuche durch meine psychologischen Skills und meine menschlichen und beruflichen Erfahrungen dem Menschen zu einer neuen Perspektive in seinem System (das einen auch einmal wirklich gefangen nehmen kann) zu sich und seinem Problem, seiner Frage zu verhelfen, aus der heraus er dann durch diesen neuen Blickwinkel selber Möglichkeiten für Lösungen und Antworten findet.
Interaktiv heißt, dass sich der Klient selber verändert und ich das nicht für ihn tue, sondern dass ich seinen Weg der Veränderung in der aktiven Umsetzung und Realisierung begleite. Der Sinn ist die persönliche Souveränität des Klienten, seine Selbstbestimmung, aber auch die Wahrnehmung seiner persönlichen Verantwortung für sich selbst. Es ist wie ein Mensch, der in ein Taxi steigt. Sehr oft weiß er eigentlich nur das Eine: Hier, wo ich gerade bin, will ich weg. Als Taxifahrer nützt mir diese Erkenntnis nur sehr wenig. Ich muss wissen wohin die Reise geht. Darüber müssen sich Fahrer und Gast erst gemeinsam klar werden, ein Ziel vereinbaren. Dem Fahrer ist es egal wohin der Gast will. Es ist ihm auch egal wann und wo der Fahrgast die Fahrt für beendet erklärt, wann er angekommen ist und was er am Ziel eigentlich will. Mit seiner Fähigkeit ein Auto zu führen und mit seiner Ortskenntnis verhilft er dem Kunden sein Ziel zu erreichen. Das ist dann das interaktive Begleiten des Coachs. Alle Entscheidungen über den Weg der Veränderungen trifft der Klient selber und frei. Als Coach versuche ich dabei immer, ihn in neue Stellungen und zu neuen Sichtweisen sich selbst betreffend zu bringen, Blockaden der Selbsterkenntnis zu lösen und neue Wege zu Entscheidungsfindung zu vermitteln.
Was sind die aktuellen Themen, mit denen Menschen bei Neuausrichtung zu Ihnen kommen?
Die meisten Themen sind berufliche Themen. Klar, der Beruf bestimmt ja auch den größten Teil unseres Lebens. Das Thema „Berufswechsel“ ist dabei das häufigste, aber auch Fragen zur Berufsausübung (nicht im fachlichen Sinn) und der Karriereoptimierung sind dabei stark vorne. Themen der systemischen Veränderung im Beruf erfordern zum Beispiel die persönliche Standortbestimmung und die Findung von neuen beruflichen Möglichkeiten. Eine berufliche Neuorientierung bedeutet aber nicht, dass man noch einmal ganz von vorne anfangen, studieren oder ein Handwerk erlernen muss, sondern dass man das, was man hat, noch ergänzt (zum Beispiel durch gezielte Weiterbildungen) und so etwas Neues für sich erschafft.
Dann kommen sehr häufig Fragen auch zur aktuellen Lebensplanung und -bewältigung vor. Wie kann ich mit persönlichen Krisen wie Beziehungsbruch, Trauer, Existenzangst, Entscheidungsnöten, Mobbing, Streit und so weiter umgehen und ihnen abhelfen? Viele Menschen meinen allerdings auch, dass ich therapeutisch tätig bin und versuchen ihre psychologischen Defizite wie zum Beispiel Depressionen über mich loszuwerden. Aber denen rate ich dann dringend zu einer Therapie bei einem Psychotherapeuten oder Psychiater und setze dann auch kein Coaching parallel dazu an, damit ich nicht dem Therapeuten in den Weg komme. Es kann aber schon einmal sein, dass ich in Absprache mit und komplementär zu dem Psychologen/Psychiater den Klienten coache, aber das ist eher selten.
Was raten Sie Menschen in der Lebensmitte, die ihren eigenen Weg gehen möchten?
Oh je, da gibt es einiges. Das Wichtigste ist wohl, den inneren Wunsch und die Sehnsucht nach Veränderung wahrzunehmen und zuzulassen. Schon der weise Konfuzius sagte: „Willst du glücklich werden, dann verändere dich“. Nur wer den Willen zu Veränderung hat und tatsächlich losgeht, der wird auch ankommen. Wie heißt es so schön: „ Wer wirklich will, der findet Wege und Möglichkeiten. Wer nicht will, der findet Gründe und Ausreden.“
Aber ich empfehle auch Umsichtigkeit und Behutsamkeit. Grundsätzlich sollte man das bisherige berufliche Bein erst loslassen sobald man sicher ist, dass man auf dem anderen stehen kann. Mit beiden Beinen in der Luft fällt man bekanntlich immer schmerzlich hin. Also: Erst den alten Beruf, die alte Position kündigen, wenn die neue wirklich sicher ist.
Sich gut informieren, das wäre der nächste wichtige Rat. Und sich nicht sofort von ungünstigen Nachrichten und Information beeinflussen oder gar entmutigen zu lassen. Informationen bekommt man zuhauf aus dem Internet, aber man bekommt sie am besten von denen, die persönliche Erfahrungen mit dem Beruf haben, die ihn selber schon längere Zeit ausüben.
Wichtig ist es auch sich nicht ständig seine Schwächen und Fehler vorzuhalten und zu sagen: Das wird nichts mehr, ich bin zu alt, ich schaffe das nicht mehr. Natürlich lassen viele unserer Fähigkeiten im fortschreitenden Alter nach, aber dafür können wir auch einen sehr großen Erfahrungshorizont vorweisen und das wird heute in vielerlei Hinsicht sehr gesucht. Junge Leute mögen vielleicht mehr Ideen haben (was so aber auch nicht stimmt), doch die Erfahrung liegt immer beim Älteren. Und auch wenn wir unablässig nur die Schwächen sehen wollen: Man kann gewiss sein, dass viel mehr an uns noch stark und mobil ist. Es ist mitunter auch wichtig seine Schwächen einmal zu vergessen und seine Stärken, die stets in der Überzahl sind, vermehrt wahrzunehmen. Und auch das gilt es zu beachten: Man ist immer nur so alt wie man sich fühlt und wofür man sich hält. Alter ist sehr relativ und die Meinung darüber hat sich in den vielen Generationen der Menschen immer wieder geändert.
Wenn Sie drei Wünsche frei hätten für Ihren weiteren Lebensweg, welche wären das?
Das ist schwer. Ich glaube ein wichtiger Wunsch wäre mir, dass mir die Wünsche nicht ausgehen. Ein wunschloses Leben ist ein Leben ohne Ziele und Anspruch und – viele reiche Menschen zeigen das ja – ist sehr langweilig. Ich würde mir wünschen, dass ich auf dem Sterbebett wie mein Vater sagen kann: „Ich hatte ein erfülltes Leben“. Das hat mich unheimlich getröstet.
Ein weiterer wichtiger Wunsch wäre mir, dass ich immer eine Gemeinschaft von lieben und liebenden Menschen habe, sei es als Freundschaft, als Beziehung, als Gäste und auch als Kollegen. Einsamkeit ist eine Not und leider sehr weit verbreitet, gerade unter der alten Generation. Freunde kann man nie genug haben und ich kann sagen, dass ich da doch einige habe, die es wert sind diese Bezeichnung zu tragen. Und ich hoffe, dass ich immer fähig sein werde einer Freundschaft, einer Beziehung oder beruflichen Partnerschaft gerecht zu werden.
Ein dritter wichtiger Wunsch wäre, dass ich meinen Humor nicht verliere. Wahre Lebensfreude macht sich im Lachen sichtbar und wie oben schon erwähnt, nimmt es vielen Dingen eine unnötige Ernsthaftigkeit. Humor und Lachen sind Entspannung pur, schärfen die Wahrnehmung und sind die kürzeste Verbindung zum anderen Menschen. Denn man lacht nun einmal lieber gemeinsam als einsam. Außerdem braucht man zum Lachen nur ein Drittel der Muskeln, die man ansonsten für Zorn, Wut und zum Ärgern braucht.
Wie kann man mit Ihnen in Kontakt treten?
Am besten über e-Mail. Die Anschrift und den Link findet man auf meiner Website www.doerpinghaus-coaching.de Man kann mich auch über das Festnetz erreichen, obwohl eine Antwort da auch einmal dauern kann, da ich sehr oft beruflich unterwegs bin. Mobil bin ich am besten zu erreichen (0178-1457758). Ich versuche immer schnell zu antworten. Deshalb bitte auch Rückmeldungsmöglichkeiten (Telefonnummer, Anschrift und so weiter) auf meinem Anrufbeantworter oder in der e-Mail hinterlassen.
Coachingmöglichkeiten habe ich diverse: Vornehmlich Face-to-Face in meinem Büro in Berlin, aber ich mache in Ausnahmefällen auch Coaching über Skype oder Telefon. Persönlicher Kontakt ist mir immer der liebste, aber ich bin auch für andere Möglichkeiten weitgehend offen. Alle anderen Fragen zu meinem Coaching kann man schon einmal meiner Website entnehmen oder wir klären sie dann über Telefon und e-Mail.
Ich bedanke mich ganz herzlich für das schöne, offene und inspirierende Interview und wünsche Herrn Dörpinghaus auf seinem weiteren Lebensweg alles Gute.
Foto: Rainard Dörpinghaus
Liebe Sabine, ich bin immer wieder beeindruckt mit welchen Menschen Du zusammenkommst und wie einfühlsam Du ihren Wandel im Leben niederschreibst.
Alles Liebe,
Maja
Liebe Maja,
ich finde diese wundervollen Menschen durch Recherche im Internet, durch Zeitungsartikel, über Bücher und Gespräche…
Wenn sie vor Ort wohnen – wie z.B. Andreas – dann schreibe ich das Interview selbst.
In den anderen Fällen (nachdem ich mich im Rahmen meiner Möglichkeiten mit den Wunschkandidaten beschäftigt habe, z.B. durch Lesen ihrer Webseite), schicke ich Ihnen die Fragen zu und sie mir dann die Antworten.
Ich bin jedesmal wieder sehr berührt, aber auch inspiriert durch die unterschiedlichen Lebenswege.
Und ich bin allen Interviewpartnern sehr dankbar für ihr Teilen und ihre Offenheit. So wie Herr Dörpinghaus in diesem Interview mit sehr viel Herzblut schreibt, haben es auch die anderen getan. Das ist ein wunderbares Geschenk.
Alles Liebe,
Sabine