An Peter Wiesejahn faszinieren mich ganz besonders seine Vielseitigkeit, sein Mut und sein Vertrauen, sich immer wieder auf neue Herausforderungen einzulassen und sich seinen Ängsten zu stellen.
Getreu seinem Lebensmotto „Das Leben findet einen Weg“, hat Peter in den reichlich vier Jahren seit unserem ersten Interview erneut vieles umgekrempelt, angepackt und entscheidend verändert.
Peter kann in Krisen Wunder und Chancen erkennen – wie – das erzählt er hier:
Was hat sich seit dem Interview bei Dir verändert?
Nun ja, unser Interview ist vier Jahre her. Wenn ich, angeregt durch deine Frage, nochmal zurückschaue bin ich erstaunt, wie umfassend die Veränderungen sind. Doch gehen wir einen Schritt nach dem Anderen.
Die Arbeit mit Flüchtlingen
Das Jahr 2016 war durch die hohen Flüchtlingszahlen für mich schon eine enorm hohe Herausforderung. Um mit Menschen zu arbeiten, mit denen ich mich sprachlich nicht verständigen kann, musste ich neue Wege gehen. Hier kam meine Affinität zu Kunst und Theater zum Tragen.
So arbeitete ich viel und lange mit zeichnen, malen und Pantomime. Auf dieser nonverbalen Ebene konnten wir uns gut treffen. Nach und nach wurden die Sprachbarrieren weniger, die Arbeit zielgerichteter und in vielen Bereichen sehr erfolgreich.
Ich konnte etliche Jugendliche in Ausbildungen unterbringen, Familien zusammenführen und auch Freude verbreiten. Aus dieser Zeit nehme ich sehr viel Wärme mit. Gleichzeitig ist mir auch nochmal sehr deutlich geworden, dass Menschen sich auch jenseits von Sprache begegnen und bereichern können.
Dann doch nochmal studieren
Mitte 2017 liefen die Projekte aus und ich habe für mich nach einer neuen Herausforderung gesucht. Für mich stand mal wieder eine Weiterbildung an. Statt einer regulären Weiterbildung entschied ich mich für den Masterstudiengang „Systemische Beratung“.
Ich wollte auch auf der politischen Ebene mehr mitreden. Da ich nicht die „richtige“ akademische Qualifikation besaß, bin ich dort eher vor eine Mauer gelaufen. Ich finde es spannend und erschreckend zugleich, was jetzt mit einem „Masterabschluss“ möglich ist. Menschen, die mir vorher den Rücken zukehrten, kommen heute auf mich zu.
Vor ein paar Jahren hätte ich solche Kontakte wahrscheinlich eher abgelehnt. Heute stört mich das weniger. Schließlich will ich ja etwas bewegen und hierzu sind genau diese Menschen wichtige Multiplikatoren.
Das Studium an sich hat aber auch noch einiges bewirkt. Eigentlich fand ich wissenschaftliches Arbeiten eher merkwürdig und wenig gewinnbringend. Hier passierte ein Umbruch, der sich mittlerweile sehr stark auf mein Leben auswirkt.
In der Tat hat mir das Studium super gefallen. Selbst das schreiben einer Masterarbeit. Mittlerweile fällt mir vielfach auf, dass Dinge, Sachen und Situationen die ich für mich (nicht unbedingt Bewusst) eher abgelehnt habe für mich extrem viel Potential besitzen und mir durchaus Spaß machen.
Ich fand auch Menschen komisch, die Ihre Diplome an die Wand hängen. Nun, meine Masterurkunde wird auch bald an der Wand hängen. Darauf bin ich echt ziemlich stolz.
Good Bye, Selbstständigkeit
Mein großer Traum ist es ja nach wie vor ein Zentrum für Menschen, die mit Menschen arbeiten, aufzubauen. Hier war es schon länger klar, dass ich dies sicherlich nicht alleine schaffen werde. Wie das so mit den meisten großem Projekten so ist.
Ende 2017 bekam ich das Angebot Teil eines Unternehmens zu sein und meine Arbeit als Angestellter dieses Unternehmens weiter fortzuführen. Gleichzeitig sollte ich auf die Ressourcen des Unternehmens zurückgreifen können, um meine Idee umzusetzen.
Das bedeutete aber auch, dass ich mich an das Unternehmen und das Unternehmen sich an mich anpassen musste. Entscheidungen plötzlich nicht mehr alleine treffen zu können, war eine immense Umstellung. Wir alle haben fast ein Jahr gebraucht, um uns aneinander zu gewöhnen und miteinander arbeiten zu können.
Dann sollte die Weiterentwicklung endlich stattfinden. Leider kam es anders. Der Geschäftsführer, der mich ins Unternehmen geholt hatte, verstarb plötzlich und unerwartet. Damit musste vieles neu strukturiert werden.
Ein Teil dieser Umstrukturierung mündete darin, dass ich Erzieher und Erziehrinnen nun in Ihrer Ausbildung begleiten darf. Plötzlich bin ich Lehrer. Auch etwas, was ich mir so für mich nicht vorstellen konnte. Noch weniger vorstellen konnte ich mir, dass mir diese Tätigkeit so unsagbar viel Freude bereitet, wie sie das tut.
Doch zurück. Mittlerweile sind wir wieder einen Schritt weiter und das Zentrum nimmt erkennbare Züge an. Die ersten Veranstaltungen sind geplant. Ich verbringe sehr viel Zeit damit neue Inhalte und Weiterbildungen zu planen. Diese werden aber „erst“ ab Mitte des nächsten Jahres zum Tragen kommen.
In den vier Jahren ist also ein kleinwenig was passiert.
Wie gehst Du mit der aktuellen Krise um?
Sicherlich ist die Corona-Pandemie die umfangreichste Herausforderung der ich mich bisher stellen musste. Hir wird es anderen wahrscheinlich genauso gehen. Sie spiegelt sich in allen Bereichen meines Lebens wider. Ob nun im beruflichen oder auch im privaten Bereich passieren Dinge, die dort gelöst werden mussten und müssen.
Die Angst vor der Krise
Der Anfang der Corona-Pandemie war extrem hart. Ich hatte mir drei Wochen frei genommen und mich von der Welt zurückgezogen. Schließlich hatte ich eine Masterarbeit zu schreiben. Dann war ich mit meiner Masterarbeit fertig und freute mich darauf meine Freunde wieder zu treffen. Doch an dem Tag, nachdem ich meine Arbeit abgeschlossen hatte, erfuhr ich von dem Lockdown.
Nichts mit „Freunde treffen“, „tanzen“ oder „ins Kino gehen“. Das alles war plötzlich nicht mehr möglich. Hinzu kam noch das Loch, was manchmal entsteht, wenn man eine sehr umfangreiche Arbeit beendet hat.
Ich war am Boden zerstör und hatte Angst in die größte Krise meines Lebens zu stolpern. Ich lebe allein. Meine sozialen Kontakte finden daher außerhalb meiner vier Wände statt. Eben diese Kontakte wurden ausgesetzt.
Wie ich nun mal so bin, habe ich den Stier bei den Hörnern gepackt. Ich habe meine Ängste und Sorgen angesprochen und mich mit Menschen, denen ich nahestehe, ausgetauscht. Letztendlich war das ein Segen. Doch dazu gleich mehr.
Was wird aus der Arbeit?
Nach drei Wochen Auszeit ist meist einiges nachzuholen und ich brauche einige Gespräche, um wieder auf dem aktuellen Stand zu sein. Nun war aber Krisenmanagement angesagt. 90 % aller Aufträge wurden storniert und ich hatte erst einmal keinen Plan wie es weitergehen könnte.
Nach der ersten Woche war klar, dass wir auf Kurzarbeit umstellen können. Durch gut gepflegte Kontakte konnte ich fünf neue Aufträge generieren. Durch die Kurzarbeit und die vorhandenen Aufträge waren die nächsten drei Monate erst einmal gesichert und ich begab mich selber in Kurzarbeit.
Nun ja, ich und Kurzarbeit. Ein Konzept, dass sicherlich nicht in der Idee von Kurzarbeit aufgeht. Auch nach meinen persönlichen Eindrücken war ein guter Kontakt jetzt mehr den je wichtig. Weiterhin brauchte ich Ideen, wie ich die Mitarbeitenden halten kann und wie sich die Arbeit anders gestalten lässt.
Ich suchte nach einem Coaching das mir hilft, mich selber zu strukturieren und die Dinge neu zu bewerten. Da ein persönlicher Kontakt nicht in Frage kam, suchte ich mir ein Online-Coaching. Gefunden habe ich es in der Schweiz und es war echt gut.
Dann geht es doch weiter.
Ich hatte selber schon einige Coachings und Supervisionen per Telefon oder online durchgeführt. Das waren aber eher „Abfallprodukte“, die sich durch Umzüge ergeben hatten. Daraus ein Programm zu gestalten war mir bisher nicht in den Sinn gekommen.
Jetzt machte ich mich schlau, was denn online so alles möglich war und wie sich der Datenschutz gerade in dem sensiblen Bereich von Coaching und Supervision einhalten lässt. Hier wurde ich recht schnell fündig.
Um mit meinen Kunden in Kontakt zu bleiben bot ich erst einmal Überbrückungen im Onlinebereich an. Etwas mehr als die Hälfte der Kunden nahm das Angebot an. Die ersten Kontakte waren kostenfrei. Hier ging es nur um den Austausch.
Es zeigte sich, dass die Möglichkeiten für Coachings und Supervisionen in vielen Bereichen online gut weiterlaufen konnten. So kam es zu neuen-alten Verträgen. Gleichzeitig kamen neue Kunden hinzu. Plötzlich spielte auch die Entfernung keine Rolle mehr. So gibt es mittlerweile viele Kunden, die wir aufgrund der Entfernung, offline nicht hätten bedienen können. Die Kurzarbeit konnte früher als geplant beendet werden.
Auch einen Teil der Schulungen konnten wir mittlerweile auf Online-Medien umstellen. Hier stehen wir allerdings noch am Anfang. Mittlerweile ist uns aber klar, dass es auch zukünftig Online-Inhalte geben wird. Gerade wenn es um Wissen geht. Zukünftig wird es hier also einen Mix geben.
Auch wenn ich in Zukunft nicht auf persönliche Treffen mit Kunden verzichten möchte, haben Online-Coachings und -Supervisionen auch ihren Reiz. Manchmal sind sie sogar einfacher und vor allem spielt die Entfernung keine Rolle mehr.
Privat läuft es runder
Da ich meine Ängste und Sorgen ja angesprochen hatte, kamen Rückmeldungen. Ich glaube ich habe noch nie so viel telefoniert wie in der Zeit des Lockdowns. Hinzu kamen Online-Treffen und sogar -Geburtstagsfeiern.
Zwar fehlte mir der persönliche Kontakt, das Händeschütteln und Umarmen, gleichzeitig wurden die Gespräche oft tiefsinniger. Ich kam auch in einen guten Kontakt mit Menschen, die ich bisher eher oberflächlich kannte.
So fühlte ich mich, trotz der räumlichen Trennung, verbunden, geliebt und gesehen. Die durch die Pandemie einkehrende Ruhe tat mir letztendlich sogar gut. Ich konnte mich entspannen. Eine Masterarbeit zu schreiben ist kein wirklicher Urlaub.
Was ich für mich mitnehme
Mein Lebensmotto, „Das Leben findet einen Weg.“, hat sich auch in der aktuellen Krise wieder bestätigt. Mich meinen Ängsten zu stellen und diese, auch wenn es schwerfällt, öffentlich zu machen, hat sie eindeutig aus dem Weg geräumt.
Zukünftig, so zumindest der Plan, werde ich noch mehr auf Ruhe und Erholung achten. Dort wo es mir möglich erscheint möchte ich meine Arbeit und mein Privatleben entschleunigen. Beruflich wird etliches, was ich bisher nur im persönlichen Kontakt getan habe, zukünftig online stattfinden. In vielen Bereichen ist das für mich sogar entspannter.
Was wünschst Du Dir für Deinen weiteren Lebensweg?
Mal ganz ehrlich, manchmal frage ich mich verschämt, ob ich mir überhaupt noch etwas wünschen darf.
Mittlerweile freue ich mich auf die Wochenenden und meinen Urlaub. Gleichzeitig freue ich mich aber auch immer darauf, wieder arbeiten gehen zu dürfen. Ich kann mir nach wie vor nicht vorstellen, irgendwann einmal in Rente zu gehen. Soviel Glück haben aus meiner Erfahrung nicht viele Menschen. Leider.
Ich habe Menschen in meinem Umfeld, die mir ihre ehrliche Meinung sagen, auch wenn es mal nicht angenehm ist. Gleichzeitig lassen sich mich aufblühen und geben mir Energie. Ich finde hier Halt, wenn ich strauchele und gebe welchen, wenn er gebraucht wird. Wir entwickeln uns gegenseitig weiter und sind für einander da. Etwas Besseres kann ich mir wahrlich nicht vorstellen.
Dann wird mir wieder deutlich, wie wichtig Wünsche sind. Durch sie wird unser Leben bunter und spannender.
Bereits vor der Pandemie wurde mir deutlich, dass ich mich gerne wieder auf eine Liebesbeziehung einlassen würde. Die Pandemie hat diesen Wunsch sicherlich noch etwas verstärkt. Das bedeutet allerdings auch, dass ich mich etwas mehr von der Arbeit lösen muss. Kein einfacher Weg für mich. Das ist die Herausforderung, der ich mich gerade stelle.
Dann wäre mein Wunsch, dass ich mich etwas mehr mit dem Thema „Einsamkeit“ und den Wegen daraus beschäftigen möchte. Auch das Thema ist mir in der Pandemie nochmals sehr deutlich geworden. Sicherlich waren meine eigenen Ängste in dieser Richtung nochmals wegweisend. Hinzu kamen allerdings auch Erfahrungen im weiteren Umfeld. Aus meiner Sicht ist Einsamkeit eine schreckliche Krankheit, die wir unbedingt auflösen sollten.
Was braucht es, damit Du Dich wohlfühlen kannst?
Durch die Pandemie ist mir nochmal deutlich geworden, wie „wenig“ ich im Leben wirklich brauche. Das sind eine „Sache in deren Dienst ich mich stellen kann“, „Herausforderungen, an denen ich wachen darf“ und vor allen Dingen „Menschen, die mich auf meinen Wegen begleiten“.
Ich bedanke mich sehr für das Interview und wünsche allen Lesern, dass Sie die ein oder andere Idee für ihr eigenes Leben finden. Ob nun aus meinem Interview oder aus den Interviews der anderen, tollen Menschen, die auf diesem Blog zu finden sind. Immer dran denken: „Das Leben findet einen Weg.“
Peter Wiesejahn
Danke lieber Peter für Dein Teilen, Dein Dich-Zeigen und Deine Ermutigung, dem Leben zu vertrauen und auf unser Herz zu hören.Herzensgrüße zu Dir, Sabine
Hier findest Du das erste Interview mit Peter vom 27. Februar 2016: Neue Wege in der Lebensmitte: Peter Wiesejahn
Foto: Peter Wiesejahn
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