Wie sich durch eine Baustelle meine Sichtweise verändert hat

Jul 19, 2017 | Alltagsreflexionen | 4 Kommentare

Es ist Anfang März und ich freue mich auf einen schönen Frühlingstag, den wunderbaren Panoramablick von unserem Balkon und das Schreiben an meinem neuen Blogartikel.
Da ertönt plötzlich ein lautes Geräusch. Ich schrecke auf und trete auf den Balkon: Ein Bagger zerpflückt gerade die Wiese vor unserem Haus.


Natürlich hatten wir es schon länger gewusst dass die Wiese verkauft worden war und hier bald Häuser wie Pilze aus dem Boden schießen sollten. Doch irgendwie hatten wir gehofft, dass sich der Zeitpunkt etwas nach hinten verschieben würde.
Bald jedoch rollten die ersten Baufahrzeuge an und machten unsere schmale Straße dicht.

Als wir vor zehn Jahren in diese schöne Wohnung hier in Oberbayern zogen, war es vor allem der 180°-Panoramablick, der uns so faszinierte. Und die wunderbare Stille.
Besonders an letztere ist momentan nicht mehr zu denken: Tagsüber herrscht jetzt ziemlicher Baulärm, der selbst am Samstag spätestens 7:00 Uhr beginnt (wenn die Bauherren selbst mit Hand anlegen).
Natürlich ist Lärm immer etwas Subjektives, aber soweit ich zurückdenken kann, war ich dahingehend schon immer sehr empfindlich.

Glaubenssätze

Bisher glaubte ich immer, ich brauche den wunderbaren Blick und die Stille, um in Ruhe schreiben zu können.

Warum erzähle ich Dir das?

Weil ich durch die Baustelle meine Sichtweise verändern konnte: Ich wurde daran erinnert, dass ich immer eine Wahl habe.
Ich kann wütend sein über den Lärm und Dreck, weil nun unser schöner Blick verbaut wird und die Straße oft durch die Baufahrzeuge blockiert ist. Ändere ich damit etwas an den Tatsachen? Nein.
Ich kann daher die Situation auch annehmen und mich für die überwiegend jungen Familien freuen, die hier bauen dürfen.
Wenn ich im Widerstand bin, bin ich im Krieg – vor allem mit mir.

Kann ich also wirklich nur in Ruhe schreiben oder ist das ein Glaubenssatz?
Ich mache mit mir selbst ein Experiment und bin gleichzeitig Beobachter.
Neugierig verfolge ich wie die Häuser wachsen, wie die neuen Eigentümer mit anpacken und die kleinen Kinder aufgeregt und staunend dabei sind.
So kann ich zuschauen, auf welch unterschiedliche Weise Häuser entstehen und habe Respekt vor der fleißigen Arbeit der Bauarbeiter.
Plötzlich merke ich, dass ich immer und überall schreiben kann. Es ist nicht von äußeren Faktoren abhängig, sondern von meiner inneren Einstellung.

Von unserem Balkon aus dokumentiere ich die Veränderungen fotografisch: Wir haben vor, den Bauherren zum Einzug ein Album zu schenken.

Auf den schönen Panoramablick müssen wir zwar leider verzichten, doch es sind nur ein paar Schritte die Straße entlang, dann kann ich die Benediktenwand sehen.


Für mich wunderbar passend, habe ich abschließend noch die folgenden Zeilen von Sogyal Rinpoche aus dem Buch „Das tibetische Buch vom Leben und Sterben“ herausgesucht:

Das Loch in der Straße – Autobiographie in fünf Kapiteln

1.
Ich gehe eine Straße entlang
Auf dem Fußweg ist ein tiefes Loch
Ich falle hinein
Ich bin verloren
Ich bin hilflos
Es ist nicht meine Schuld
Es braucht unendlich lange einen Weg heraus zu finden
2.
Ich gehe eine Straße entlang
Auf dem Fußweg ist ein tiefes Loch
Ich gebe vor, es nicht zu sehen
Ich falle wieder hinein
Ich kann nicht glauben, am selben Platz gelandet zu sein
Aber es ist nicht meine Schuld
Es braucht immer noch eine lange Zeit herauszukommen
3.
Ich gehe dieselbe Straße entlang
Auf dem Fußweg ist ein tiefes Loch
Ich sehe, dass es dort ist
Ich falle immer noch hinein
Es ist eine Gewohnheit
Meine Augen sind offen
Ich weiß, wo ich bin
Es ist meine Schuld
Ich komme sofort hinaus
4.
Ich gehe dieselbe Straße entlang
Auf dem Fußweg ist ein tiefes Loch
Ich gehe drum herum
5.
Ich gehe eine andere Straße entlang.

 

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4 Kommentare

  1. Guten morgen liebe Sabine ? Ich mache es ähnlich wie Du.
    Ich überlege mir wie ich das Unangenehme für mich Angenehm machen kann, und versuche es dann auf diese neue Weise. Meistens gelingt es dann auch. Noch nicht immer, aber meistens. ?
    Ich wünsche Dir einen wundervollen Tag. <3 :-* <3

    Antworten
    • Liebe Erika,
      hab vielen Dank für Deine Rückmeldung.
      Mir geht es ähnlich wie Dir. Und manchmal brauche ich auch erst etwas „Anlauf“, doch wenn es mir gelingt ist es sehr befreiend.
      Da bin ich dann bei Punkt 5 (Ich gehe eine andere Straße entlang).
      Herzliche Grüße,
      Sabine

      Antworten
  2. Hallo Sabine,
    das was du beschreibst kenne ich gut von mir selbst. Gerade jetzt, wo ich mit einem verletzten Knie mitten in der sächsischen Schweiz sitze, in einem Urlaub, indem wir endlich mal wieder wandern wollten.
    Doch dann ist mir vor dem Urlaub bei einer winzigen blöden Bewegung die Kniescheibe rausgesprungen.
    Und so übe ich mich jeden Tag in der Gelassenheit es so zu nehmen wie es ist.
    Herzliche Grüße
    Andrea!

    Antworten
    • Liebe Andrea,
      ich habe vor Jahren von einer Frau gelesen, die sich riesig auf den Griechenlandurlaub gefreut hat und dann am ersten Tag mit einem gebrochenen Bein im Krankenhaus gelandet ist. Sie hat die Zeit dann so genutzt, dass sie die Bücher gelesen hat, die sie schon lange einmal lesen wollte….
      Ich wünsche Dir trotz allem einen schönen Urlaub. Es gibt in der sächsischen Schweiz viele schöne Fleckchen, die man auch ohne große Wanderung besichtigen kann. Vielleicht hilft es Dir auch, Dich mit der Natur dort zu verbinden.
      Fühl Dich mal ganz lieb gedrückt.
      Herzliche Grüße
      Sabine

      Antworten

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